Donnerstag, 5. Dezember 2019

Boxenstopp eines Engels



Es war in einem der zurückliegenden Jahren, wo ich einen Urlaub in Bad Godesberg verbrachte. Ich spielte dort ein Schachturnier mit, bei dem ich vor der Schlußrunde noch Chancen auf einen kleinen Geldpreis hatte.
   Aber ich entschied mich diese letzte Runde wegen einer gewissen Erschöpfung  nicht zu spielen. Stattdessen machte ich einen längeren Spaziergang einmal um die ganze Stadt herum. Gerade rechtzeitig zur Siegerehrung kam ich zur Stadthalle, wo eine Woche lang dieses Turnier stattgefunden hatte.
  Das war dann auch der Moment, wo mir das erste Mal gewisse Zweifel kamen, ob ich nicht hätte das Turnier doch zu ende spielen sollen. Denn es war Anfang August und es war klar, dass mir für den Rest des Monats noch knapp 150 Euro bleiben würden. Jetzt begann ich mir doch etwas Sorgen zu machen: Wie sollte das gehen? 
  Mit dem möglichen Preisgeld wären es 200 Euro gewesen, 50 Euro pro Woche. Das wäre überschaubar geblieben. Aber so? Hatte ich mich jetzt nicht leichtfertig in Schwierigkeiten gebracht?

Solche Gedanken beschäftigten mich auch noch, als ich die Heimreise antrat. Natürlich konnte ich einen Freund fragen, ob er mir 50 Euro leihen würde. Das wäre wohl auch kein Problem gewesen, aber irgendwie verspürte ich einen gewissen Widerwillen bei dem Gedanken. Er hatte mir schon einige Male zuvor geholfen und irgendwie möchte man ja Dinge auch nicht überstrapazieren.
   So kam ich an frühen Abend in Düsseldorf am Bahnhof an und wollte mit der Straßenbahn sogleich nach Hause fahren. Da kam mir plötzlich ein Gedanke in den Sinn: Fahr zu Mc Donalds an der Fährstrasse! 
   Ein an sich absurder Gedanke, denn ich war ziemlich erschöpft. Zudem hatte eine schwere Reisetasche und eine Einkaufstüte bei mir. Ich begann innerlich gegen den Gedanken zu rebellieren, aber der Gedanke ließ sich nicht abschütteln. Schließlich gab ich nach. Denn es hatte sich schon einige Male als bemerkenswert richtig erwiesen, wenn ich solch einem Impuls nachgegangen war. Auch wenn es wie im vorliegenden Fall überhaupt keinen Sinn zu machen schien.

Bei McDo angekommen, kaufte ich mir ein Eis mit Karamelguss und setzte mich draußen auf die Terrasse. Was soll ich bloß hier?, dachte ich. Viel lieber hätte ich mich zuhause auf dem Sofa langgestreckt. 
   Ein junger, gepflegt aussehender Mann von etwa 30 Jahren kam mit einem Tablett heraus, blickte sich etwas suchend um und platzierte sich dann an meinem Nebentisch. An sich nichts Ungewöhnliches. 
   Aber anstatt nun mit dem Essen zu beginnen, starrte er etwa zehn Sekunden völlig ungeniert zwei Jugendlichen an, danach etwa genauso lange zu mir herüber.Ich wollte gerade schon fragen: Is was?, als er den Blick plötzlich abwandte und zu essen begann.

Jetzt begann ich ihn etwas näher zu studieren. Er wirkte für sein Alter auf eine durchaus angenehm-bescheidene Weise vornehm, irgendwie anders als Männer vergleichbaren Alters, die ich so kannte.
   Mein Eis hatte ich aufgegessen, nun aber klebrige Finger. Ich überlegte, ob ich den Mann bitten sollte, auf meine Sachen aufzupassen. Entschied mich aber dagegen und ging auf Toilette, im Vertrauen darauf, dass schon nichts wegkommen würde.

   Zwei Minuten später kehrte ich mit einer Tageszeitung in der Hand zurück. Die Reisetasche und Einkaufstüte waren noch da! Gott sei Dank! Ich begann in der Zeitung zu lesen, legte sie aber schnell wieder beiseite. Der junge Mann fragte mich, ob er die Zeitung mal haben könnte. Schon etwas überrascht, von ihm angesprochen zu werden, reichte ich sie ihm. 
   Aber auch er verlor schnell das Interesse, stand dann auf und sagte zu mir freundlich lächelnd: "Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend!"
    Während er im Innenbereich verschwand, dachte ich plötzlich, dass ich ihm vielleicht noch einen meiner christlichen Flyer geben könnte. So beugte ich mich runter zu meiner Einkaufstasche, in der ich sie deponiert hatte. Aber der erste Blick ließ mich ungläubig erstarren. Ich traute meinen Augen nicht! Obenauf lag ein funkelnagelneuer 50 Euroschein!   
 
 Wenig später sah ich den jungen Mann, in einem metallicfarbenen Mercedes, fortfahren. Nicht ohne noch einmal freundlich zu mir herüberzuwinken! 
    Man sagt ja, dass Gott manchmal einen Engel vorbeischickt. In diesem Falle bin ich wirklich geneigt, schon wegen seines einigermaßen bizarren Verhaltens, diesen jungen Mann für einen solchen Boten Gottes zu halten.
     Plötzlich hatte ich die fehlenden 50 Euro und ich dachte: Wie gut, dass ich auf den Impuls eingegangen bin!

    
   

Montag, 17. Dezember 2018

Drei Wimpernschläge vom Tode entfernt




Wann wird sich ein Mensch der eigenen Sterblichkeit bewusst? Vermutlich das erste Mal, wenn er oder sie mit dem Thema Tod etwas persönlicher konfrontiert wird. Bei mir geschah dies im Alter von etwa fünf Jahren.

Mein gleichaltriger Freund Elmar und ich hatten beschlossen, von unserer Siedlung rüber auf die große Wiese zu wechseln. Als wir die dazwischen liegende Dorfstraße erreichten, blieb ich stehen, da ich von links ein Auto herannahen sah. Erster Wimpernschlag!
    Zu meiner großen Überraschung und jähem Entsetzen sah ich meinen Freund die Fahrbahn betreten. Zweiter Wimpernschlag!  Und dann ging alles ganz schnell. Als Elmar das mit hoher Geschwindigkeit herankommende Fahrzeug gewahr wurde, rannte er los. Genau dorthin, wohin der Wagen inzwischen auch unterwegs war. Der Zusammenprall schien unvermeidlich. Dritter Wimpernschlag!
    In höchster Not schrie ich: “ELMARRR!!!“, woraufhin er abrupt stoppte und wendete. Wiederum dorthin, wo nun seinerseits der Fahrer vorbeizukommen versuchte. 
    Elmar entging um Haaresbreite – und das kann man bildlich nehmen – dem Tode. Der Fahrer „entkam“ mit quietschenden Reifen und noch einmal richtig Vollgas gebend.

Für einige Sekunden standen Elmar und ich schwer geschockt da. Dann trennten wir uns wortlos und gingen heim. Wir hatten beide kurz dem Tode ins Auge geblickt. begriffen wie schnell alles vorbei sein kann. Gleichzeitig hatte zumindest ich  intuitiv verstanden, dass irgendetwas - vielleicht eine höhere Macht - Elmar beschützt hatte. 

    Denn eigentlich war es vollkommen ausgeschlossen gewesen, dass er aus dieser Sache  heil und unbeschadet  herausgekommen war. Es war definitiv ein Wunder gewesen!

Sonntag, 16. Dezember 2018

Der rettende Engel





Ich mag etwa zehn Jahre alt gewesen sein, als ich eines Nachmittags mich im Dorf auf dem Weg zu meinen Großeltern machte. Dabei kam ich durch eine kleine Siedlung, an deren Ausgang plötzlich wie aus dem Nichts ein etwa vierzehnjähriger Junge auftauchte und mich ansprach: „Wie heißt Du?“ Ich nannte ich meinen Vornamen. „Und was machst du hier so mutterseelenallein in dieser Gegend?“
    Irgendetwas stimmte nicht. Etwas Bedrohliches ging von dem Jungen aus. Hilfesuchend schaute ich nach rechts und links. Aber niemand war zu sehen. Die Straße war wie ausgestorben. „Antworte!“, befahl er, „was machst du hier? Bist du allein unterwegs?“ Der Schreck war mir mittlerweile in alle Glieder gefahren. Instinktiv spürte ich, dass ich mich in Gefahr befand: „Ich ... ich bin unterwegs zu meinen Großeltern. Die warten auf mich!“
   „So, so,“ sagte er, „die warten auf dich!“ Mit einer Hand erfasste er unterhalb des Halses mein Hemd, drückte mich an ein Garagentor und kam ganz nahe mit seinem Gesicht an mein Gesicht: „Hast Du Angst?“, fragte er diabolisch grinsend.
  „Hey!“, hörte ich auf einmal eine Stimme rufen. „Lass den Jungen los!“ In etwa fünf Meter Entfernung saß ein etwa fünfzehnjähriger Junge auf einem Fahrrad und schaute ruhig in unsere Richtung. Mein Peiniger drehte den Kopf zurück, starrte den anderen einen Moment lang an und ließ mich dann los. Wenige Sekunden später war er wortlos verschwunden. Mein Retter sagte nur: „So, jetzt kannst du weitergehen!“
    Ich war so verblüfft über diese unerwartete Rettung, dass ich sogar vergaß, ihm zu danken.

Wenig später wanderte ich erleichtert und in Gedanken vertieft einen Feldweg entlang, als plötzlich mein Peiniger hinter einem Baum hervortrat: „Na“, sagte er breit grinsend, „ freust du dich?“ Lähmendes Entsetzen erfasste mich. Wie angewurzelt stand ich auf der Stelle. Weit und breit kein Haus oder Mensch in Sicht. Ich war verloren!
    Noch bevor ich irgendeinen weiteren Gedanken fassen konnte, hatte er mich erneut an meinem Hemd gepackt und drängte mich nun finster blickend an den Baum. Ich starrte ihn angstvoll an. „Hatte ich dir nicht gesagt, dass du den Jungen in Ruhe lassen sollst?“ Wie aus dem Nichts kommend stand auf einmal mein vormaliger Retter da. Sein Fahrrad lag auf dem Boden! Seine Augen blickte stahlhart meinen Peiniger an.
    Der ließ mich augenblicklich los und drehte sich um. Beide Jungen waren etwa gleich groß, mein „Retter“ aber etwas kräftiger. „Ich sage dir das jetzt zum letzten Mal“, fuhr er fort, „ lass den Jungen in Ruhe! Wenn ich dich noch einmal mit ihm sehe, dann setzt es was! Aber richtig! So, und nun zieh Leine!“
    Die Augen meines Peinigers funkelten, einen Moment lang schien er seine Chancen bei einem Kampf abzuschätzen, dann zog er wortlos von dannen.
     „So“, sagte mein Retter, „ der wird dich in Ruhe lassen! Sicherheitshalber werde ich dich aber noch ein Stück begleiten.“ Und so fuhr er langsam mit seinem Fahrrad neben mir her, bis ich die Siedlung meiner Großeltern erreicht hatte. Dann kehrte mein „rettender Engel“ um. Ich blickte ihm noch einen Moment dankbar nach, dann lief ich los in Richtung der Wohnung meiner Großeltern.

Montag, 28. August 2017

Mein wundersamer Weg auf eine Bibelschule (1987)


 
Ich war gescheitert! Nach acht Monaten hatte ich auf Anraten meiner Arbeitgeber gekündigt und stand nun quasi vor dem "Nichts". Ohne Anerkennungsjahr galt mein Sozialpädagogikstudium als nicht abgeschlossen.
 Gewiss, ich hätte nicht kündigen müssen, trotz der schweren Differenzen mit der Jugendclubleitung, und hatte auch jetzt noch die Chance, das Anerkennungsjahr in einer anderen Einrichtung binnen zwei Jahren zu wiederholen. Aber wollte ich das? Oder besser gefragt: War das mein Weg?
     
Seit meiner Bekehrung zum christlichen Glauben im Jahre 1985 war ich überzeugt, dass es den richtigen Weg für mich gab. Das ich ihn nur herausfinden musste und darauf vertrauen konnte, dass er mir schon gezeigt werden würde. Dies jedenfalls versprach die Bibel: "Ich will dich unterweisen und dir den Weg zeigen, auf dem du wandeln sollst!" Und so lautete mein Gebet in jenen Tagen auch: "Herr, zeige mir den Weg, den ich wählen soll!"
   
Wie gewohnt suchte ich Mittwoch abends die „Jüngerschaftsschule“ im Jesushaus auf. Man könnte es als eine Fortbildungslehrgang in Sachen Christsein verstehen. An zwölf verschiedenen Abenden wurde jeweils ein Thema durchgenommen. An diesem Tag stand der Lobpreis auf dem Programm,  in Anlehnung an das alte Jakobuswort: "Wer sich Gott naht, dem naht sich Gott!"
Nach einer theoretischen Einführung in das Thema folgte am Ende ein praktischer Teil. Das Leiterteam und wir Teilnehmer stellten uns in einem Rundkreis auf und die Lobpreisleitung, ausgestattet mit Akustikgitarren, begann ein christliches Lied anzustimmen.
 
Im Grunde war der Lobpreis nicht wirklich etwas Neues, geschah es doch quasi in jedem Gottesdienst. Entscheidend ist es dabei in eine Art Flow zu geraten und nicht in einem routinemäßigem Absingen von Liedern stecken zu bleiben. 
An diesem Abend aber war dieser Flow deutlich zu spüren. Wie die meisten Anderen stand ich mit geschlossenen Augen und himmelwärts gestreckten Armen da, als ich plötzlich deutlich die leise geflüsterten Worte: „Breite Straße“ vernahm. Ich war so überrascht, dass ich augenblicklich die Augen öffnete und nach der Wortquelle suchte.
Meine beiden Nebenmänner waren im Lobpreis vertieft. Ganz offensichtlich waren  die Worte nicht von ihnen gekommen. Aber wer war es dann gewesen?
Es blieb eigentlich nur eine Interpretation offen: Es war ein übernatürliches Reden geschehen. Aber was sollte  mir damit gesagt werden? Breite Straße, breite Straße, überlegte ich. Mir fiel ein Bibelvers ein: „Gehet ein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit, und der Weg ist breit, der zur Verdammnis abführt; und ihrer sind viele, die darauf wandeln.“
Ich nutzte eine kurze Stille zwischen zwei Liedern und sprach den Vers als eine Weissagung (Reden Gottes) in die Runde hinein.
Es wurde unkommentiert hingenommen und kurz darauf war die Lobpreiszeit auch beendet.  Wenig später verließ ich das Jesushaus und fuhr mit meinem Fahrrad gleich nach Hause. 
 
Am nächsten Tag war es nun so, dass ich zu einem Gespräch im Jugendamt verabredet war. Als ich das große Wilhelm-Marx-Haus betrat, warf ich zwecks Raumsuche einen Blick auf die riesige, im Foyer angebrachte Hinweistafel.  
Ich hatte die gesuchte Zimmernummer gerade gefunden, als mir plötzlich auffiel, dass auf der Glasscheibe ein Zettel angebracht war. Ich las erstaunt mit ungläubigen Augen: „Wir sind umgezogen in die Breite Straße!“  
Natürlich fiel mir sofort wieder die das übernatürliche Reden vom Vorabend  ein. "Breite Straße" Die gehörten Worte standen nun plötzlich geschrieben da.
Nachdem ich mich von der ersten Überraschung erholt hatte, schaute ich, wer denn umgezogen war. Das BaföGamt!  Ein neuerliche Überraschung! Was soll das?, dachte ich. Soll ich etwa auf eine Bibelschule gehen? Ich hatte nämlich einmal gehört, dass es eine gäbe, die bafögmäßig gefördert wurde. 
 Aber das ist doch Blödsinn! Ich bin doch schon über 27 und mit Sicherheit nicht mehr BAföG-berechtigt. Andererseits, ein solcher Zufall! Das musste eine Bedeutung haben!        
Noch ganz in Gedanken machte ich mich auf den Weg zum verabredeten Termin.
 
Vier Tage später schaute ich aus meinem Zimmerfenster. Es goss draußen in Strömen. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen an diesem Vormittag das Bafög-Amt in der "Breite Straße" aufzusuchen. Aber beinahe schien es so als ob sich der Himmel gegen mich verschworen hätte.
Wieder kamen mir Zweifel. War das mit der Bibelschule nicht einfach eine dumme, nicht realisierbare Idee? Ein Luftschloss? Gewiss, da war diese seltsame Geschichte mit dem übernatürlichen Reden und dem Zettel auf der Hinweistafel, was mir einen Fingerzeig in Richtung Bafög-Amt zu geben schien. Aber dagegen standen die einfachen gesetzlichen Fakten. Wenn eine Bibelschule überhaupt gefördert wurde, so war ich für eine solche Förderung auf jeden Fall zu alt. Mal ganz abgesehen davon, dass ich auch während meines ersten Studiums kein Bafög erhalten hatte.
    Eine Weile rang ich mit mir. Dann traf ich eine Entscheidung: Gut, ich werde bis 11 Uhr warten. Wenn es dann nicht aufgehört hat zu regnen, vergesse ich die ganze Angelegenheit.
 
Gegen 10.50 Uhr schaute ich erneut aus dem Fenster. Nach wie vor goss es in Strömen. Innerlich begann ich mich schon darauf einzustellen, meinen Bibelschultraum abzuhaken. 10.58 Uhr. Nach wie vor goss es in Strömen. OK, dass war es dann wohl, dachte ich leicht enttäuscht. Es war halt eine alberne Idee gewesen.
Als ich aber sicherheitshalber Punkt 11 Uhr noch einmal aus dem Fenster schaute, glaubte ich für einen Moment meinen Augen nicht zu trauen. Es hatte komplett aufgehört zu regnen, wie als wenn jemand den Regenhahn zugedreht hätte. Das gibt es nicht! dachte ich. Und wusste doch im gleichen Augenblick, dass dies kein Zufall war.
 Wenige Minuten später verließ ich meine Wohnung und machte mich auf den Weg in die „Breite Straße“.
 
Die Sekretärin im Bafög-Amt schaute mich erstaunt an. „Eine bafög-geförderte Bibelschule? Moment, ich schaue am besten einfach mal nach.“ Sie holte einen Aktenordner aus dem Schrank, setzte sich  und begann darin zu blättern. „Ah, hier“, sagte sie und blickte freundlich zu mir hoch. „Es gibt tatsächlich zwei Bibelschulen, die als förderungswürdig gelten. Eine ist in Erzhausen und die andere in Wolfenbüttel.“
 Also doch!, dachte ich. Aber an sich war dies ja auch das geringere Problem gewesen. „Ja“, sagte ich, „aber vielleicht bin ich ja schon etwas zu alt für Bafög. Immerhin bin ich ja schon dreißig!“
Sie schien für einen kurzen Moment nachzudenken. Dann entgegnete sie: „Wissen Sie was? Ich gebe ihnen einfach mal ein Antragsformular mit und Sie bringen es mir dann nächste Woche ausgefüllt zurück. Dann können wir ja weitersehen!“
Als ich wenig später wieder draußen auf dem Gehweg befand, dachte ich: Eigentlich ist es besser gelaufen als gedacht. Die Sache scheint tatsächlich nicht ganz aussichtslos zu sein. Den Rest des Weges ließ ich einer Tagträumerei freien Lauf.
 
Ein paar Tage später reichte ich einen warf ich einen Förderungsantrag für eine theologische Ausbildung an der „Bibelschule Beröa“ in Erzhausen in den Briefkasten des Bafög-Amts. Das Weitere lag nun nicht mehr in meinen Händen. Es begann eine Zeit des Wartens
Nach etwa zwei Woche erhielt ich dann ein Antwortschreiben. Angespannt überflog die Zeilen bis zu : „ ... lade ich Sie zu einem klärenden Gespräch ein“. Unterschrieben vom Amtsleiter des Bafögamtes. Ich atmete erleichtert durch. Mein Traum war also noch nicht zu Ende.
In den nächsten Tagen fragte ich mich manchmal, wieso ich keinen ablehnenden Bescheid erhalten hatte. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass ich als Dreißigjähriger noch Bafög erhalten könnte. Andererseits sagte ich mir: Die Sache hat übernatürlich begonnen und Gott macht bestimmt keine halben Sachen.
 
Dann endlich war es soweit. Mit gespannter Zuversicht machte ich mich auf den Weg zum klärenden Gespräch im Bafög-Amt. Wie würde es wohl ausgehen? Barfuß oder Lackschuh? Als ich wenig später die Amtsstube betrat, begrüßte mich ein kleiner, etwa 50jähriger Mann mit Handschlag und wies auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch: "Nehmen Sie doch bitte Platz!"
Mein Gegenüber kam schnell zur Sache: „Herr ..., ich will nicht lange drum herumreden. Ich habe Ihren Antrag geprüft und es besteht eine Möglichkeit, dass wir Sie fördern!“ Das hörte sich gut an. Ich entgegnete: „Obwohl ich schon dreißig bin?“ Er lächelte: „Nicht obwohl, sondern weil sie dreißig Jahre alt sind!“ Ich schaute ihn erstaunt an.
 Er erklärte mir, dass es eine Regelung für die Förderung von Studiumabbrecher gäbe: „Bedingung ist, dass der Antragsteller in seinem ersten Studium nicht bafögmäßig gefördert worden ist und dass er dreißig Jahre alt ist. Und zwar exakt dreißig Jahre alt!“ Er lächelte: „Beide Bedingungen erfüllen Sie. Wären Sie ein halbes Jahr später gekommen, also mit 31, würde diese Ausnahmeregelung nicht mehr für Sie gelten.“
Ich war sprachlos. Welch ein Glück! „Allerdings“, fuhr mein Gegenüber fort, „müssten Sie mich noch überzeugen, dass die Gründe für die Nichtbeendigung ihres Studiums schwerwiegend genug sind! Denn nur dann kann ich Ihrem Antrag zustimmen!“ Er schwieg und schaute mich erwartungsvoll an.
 
Ich begriff, dass ich jetzt eine einmalige Chance erhalten hatte. Einen kurzen Augenblick sammelte ich meine Gedanken. Dann begann ich zu erzählen von meinen Schwierigkeiten in meinem Anerkennungsjahr, die letztendlich zum Bruch mit der Leitung des Jugendclubs geführt hatte. „Sie sehen“, sagte ich,“ dass am Ende mein Glaube und die Arbeit unvereinbar waren. Es ging einfach nicht mehr!“
Er hatte seine Hände während meines Erzählens  wie zum Gebet gefaltet unter seinem Kinn gehalten. In dieser Pose verharrte er auch jetzt noch einen Moment. Seine Miene verriet keine Regung. Dann plötzlich senkte er dir Hände, lächelte mich freundlich an und sagte dann: „Sie haben mich überzeugt! Wir werden ihre theologische Ausbildung bafögmäßíg fördern. Die ersten beiden Jahre ohne, das dritte Jahr mit Rückforderung. Aber erst wenn Sie in Lohn und Brot sind!“ Er stand auf, reichte mir die Hand und sagte: „Alles Gute auf Ihrem weiteren Lebensweg."
 
Als ich wieder zuhause war, konnte ich mein Glück nicht fassen. Das schier Unmögliche war wahr geworden. Mir war - trotz meines Alters - tatsächlich für drei Jahre Bibelschule das Bafög gewährt worden. Ein echtes Wunder, besonders wenn man bedenkt, dass alles mit jenem rätselhaftem Wort „Breite Straße“ während der Lobpreiszeit begonnen hatte.
In der Folge bedurfte es aber noch eines weiteren Wunders. Der Pastor des Jesushauses hatte „zufällig“ in der Nähe der Bibelschule zu tun und schlug mir vor, dass ich ihn ja begleiten und meinen Antrag persönlich an der Bibelschule abgeben könnte. Eine glückliche Fügung, wie sich noch herausstellen sollte.
Als ich nämlich gerade den Antrag im Sekretariat der Bibelschule abgeben wollte, kam „zufällig“ der Bibelschuldirektor zur Tür herein. Nach einem kurzen erstaunten Blick begrüßte er meinen Pastor wie einen alten Bekannten und fragte ihn nach dem Grund seines Besuches. Der verwies auf mich und mein Anliegen und so landete ich wenig später zu einem Gespräch im Büro des Direktors.
Natürlich erzählte ich ihm die ganze Geschichte der wundersamen Bewilligung meines Bafögs, was den Direktor aber nicht sonderlich zu beeindrucken schien: „Sieh mal hier,“ sagte er, zog eine Schreibtischschublade auf und holte einen Stapel Blätter hervor. Dann legte er sie auf den Tisch: „Das sind über dreißig Bewerbungen für das neu beginnende Schuljahr. Aber ich habe nur noch zwei Plätze zu vergeben.“ Ich erschrak.
Der Direktor legte die Anträge wieder in die Schublade zurück und lehnte sich in seinem Sessel zurück „Ich bewillige deinen Antrag nur aus einem einzigen Grund. Nicht wegen deiner tollen Wundergeschichte, sondern einzig und allein, weil dein Pastor sich die Mühe gemacht hat dich persönlich hierher zu fahren. Ansonsten hättest du den Platz nicht bekommen.“ Er lächelte: „Danke deinem Pastor und Gott, der diesen Umstand wohl so gefügt hat.“
 
So kam es dann, dass ich etwa acht Wochen später in ein Dreibettzimmer auf der  Bibelschule Beröa (Erzhausen/ Nähe Darmstadt) einzog. Ein völlig neuer Lebensabschnitt begann, von dem ich dann vielleicht an anderer Stelle erzählen werde.

Mittwoch, 22. April 2015

Ein rundum gelungener Abend (1986)



Es war ein Abend, an dem ich so gar nichts mit mir anzufangen wusste. Schließlich setzte ich mich in meinen Sessel und betete: „Herr, ich weiß nicht so recht, was ich tun soll!“ Im nächsten Moment kam mir klar und deutlich das Wort „Casino“ in den Sinn.
    Schockiert blieb ich eine Weile im Sessel sitzen. Kein Zweifel, ich hatte das Wort klar und deutlich in meinem Innern vernommen, aber es schien mir keinen Sinn zu ergeben. Das „Casino“ war eine stadtbekannte Disco und eine der letzten Orte, wo ich mich aus eigenem Antrieb hinbegeben hätte. Und nahm man da nicht auch Eintritt?
   Ich erhob mich aus meinem Sessel und sagte: „Okay, ich mach`s! Auch wenn ich nicht weiß, was ich da soll!“ Wenig später verließ ich meine Wohnung.

Ich kam kurz nach 21 Uhr am „Casino“ an, legte am Eingang 10 DM auf den Tisch und holte mir dann an der Bar erst einmal das „Inklusiv-Getränk“ ab.      
     Langsam wanderte ich in Richtung lauter werdender Disco-musik und befand mich kurz darauf in einem schummrig erleuchteten Raum mit einer großen Tanzfläche.
    „You make me feel like dancing“ dröhnte aus den Boxen und ich verzog mich erst mal in eine Ecke, von wo aus ich ungestört die Tanzfläche beobachten konnte. Sie war noch verhältnismäßig spärlich gefüllt, was vielleicht der Uhrzeit und dem Mittwochabend geschuldet war. Wer geht schon wochentags in eine Disco?

    Aber so nach und nach begann füllte sich der Raum. Was soll ich bloß hier? fragte ich mich gelangweilt. Gerade wollte ich mich in Richtung Bar begeben, als ich auf einmal angesprochen wurde: „Hallo, Heiner! Du hier? Also das hätte ich wirklich nicht erwartet.“ Ich schaute überrascht in das Gesicht von Sabine, einer jungen Frau aus dem Jesus-Haus.
    „So“, entgegnete ich, „ wieso denn nicht?“ Sie lachte: „Na, das sich so ein Spießer wie du hierher verliert, hätte ich einfach nicht für möglich gehalten.“ Der Satz traf mich schon etwas. Sie hielt mich also für einen Spießer: „Siehst du, Sabine, so kann man sich täuschen. Aber du hast schon Recht, normalerweise würden mich hier keine zehn Pferde hinbekommen. Aber ich habe einen Fingerzeig von oben erhalten.“ 
   Ich erzählte ihr die Sache mit dem Gebet und der vernommenen inneren Stimme. Sie schaute mich erstaunt an und sagte dann: "Ob du es jetzt glaubst oder nicht. Ich war mir nicht sicher, ob es richtig ist als Christin hierher zu kommen. Und deshalb habe ich vorher zu Gott gebetet, dass er dich oder Sven hierhin leiten sollte. Als bestätigendes Zeichen, dass es okay ist mit dem Tanzen." Sie lachte: "Und nun ist tatsächlich einer der beiden Moralaposteln hier. Ich bin wirklich erleichtert, dass Gott auf mein Gebet geantwortet hat."
    Ich war schon etwas baff: "Ja", entgegnete ich, " dass ist wirklich eine erstaunliche Sache. Ohne die vernommene innere Stimme wäre ich im Leben nicht hierher gekommen. Und die 10 DM Eintritt sind auch nicht gerade ein Pappenstiel ... Viel Spass noch beim Tanzen!"

An der Bar traf ich zu meiner Überraschung den Manuel. Seit jener Geschichte mit der gemeinsamen spiritistischen Sitzung hatten (hier clicken) wir uns nicht mehr gesehen.
    „Du hier?“, sagte er lachend. „Also dich hätte ich hier eigentlich nicht erwartet!“ „Ja, da magst du wohl Recht haben! Aber ich bin hierher geschickt worden.“ Er schaute mich leicht skeptisch an: „Geschickt worden?“ „Ach so“, entgegnete ich, „das weißt du ja noch gar nicht. Ich bin jetzt Christ!“
      Und so kam es, dass wir fast eine Stunde lang zusammen an der Bar saßen und uns gegenseitig erzählten, was im zurückliegenden Jahr alles so passiert war. Am Ende kam er noch einmal auf unseren Gesprächsanfang zurück: „Sag mal, wie hast du das eigentlich mit dem geschickt worden genau gemeint?“
    „Ganz einfach,“ entgegnete ich. „Ich saß zu Hause, habe gebetet und dann kam mir das Wort Casino in den Sinn. Und deshalb bin ich hier!“ Er schaute mich nachdenklich an „Schon erstaunlich“, sagte er, „denn ich bin das erste Mal seit Monaten wieder in diesem Laden. Und nun treffe ich ausgerechnet dich hier! Schon seltsam!“

Als ich später das „Kasino“ wieder verließ, hatte ich das Gefühl, einen wirklich guten Abend verbracht zu haben. Das sind wirklich gut investiert 10 DM gewesen, dachte ich. 
   Damals ahnte ich nicht, dass ich sie einige Jahre später zurück erhalten würde. Und zwar über Hubert, einem Freund, von Sabine, der „Tänzerin“ aus dem Jesus-Haus. Sie gab ihm folgende Begründung: "Ohne meine Gebet wäre der Heiner nie dort hingegangen. Deshalb denke ich, dass ich auch für die ihm entstandenen Unkosten aufkommen sollte.
    Eine nette Geste, dachte ich , und steckte den Geldschein ein.  
  

Montag, 27. Oktober 2014

Das Licht auf dem Berge

  Das Foto ist von hier

Da redete Jesus abermals zu ihnen und sprach: Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben. (Johannes 8,12)

 „Aber du musst doch auch einmal sehen, was die Kirche und die Christen in den letzten 2000 Jahren alles verbrochen haben. Das kann man doch nicht einfach ignorieren!“, sagte Anke mit vorwurfsvoller Stimme und einem leicht empörten  Gesichtsausdruck
  „Ja, du hast ja recht!“, lenkte ich ein. „Aber man sollte auch nicht das Gute übersehen, was von der Kirche und den Christen ausgegangen ist. Im Übrigen ist der Glaube an Gott erst einmal eine ganz persönliche Angelegenheit!“
   
Wieder einmal saß ich bei Anke und Dietmar im Wohnzimmer und versuchte sie von der Richtigkeit des Glaubens zu überzeugen. Was bei ihnen unterschiedliche Reaktionen hervorrief. Während Dietmar grundsätzlich, wenn auch ohne persönliche Konsequenzen, an die Existenz Gottes glaubte und sich ziemlich neutral verhielt, hatte Anke von Anfang an eine Art Frontalopposition eingenommen.
     Nichts von dem, was ich sagte, hatte bislang vor ihrem ablehnendem, teilweise vernichtenden Urteil Gnade gefunden. Und vermutlich war es nur unserer langjährigen Freundschaft geschuldet, dass sie mir überhaupt noch bei diesem Thema zuhörte.
   Ich hatte beide über das Schachspielen kennengelernt und war eine Zeitlang fast täglich bei ihnen ein- und ausgegangen. Dann aber geriet ich in jene tiefe Sinn- und Lebenskrise, die letztlich im Juni 1985 zu meiner Hinwendung zum christlichen Glauben geführt hatte.
   In jenen Monaten hatte ich sie nur noch sporadisch besucht, dann aber nach meiner Bekehrung wieder meine regelmäßigen Besuche, diesmal aber im 2-3 Wochenrhythmus aufgenommen. Natürlich schon mit dem Hintergedanken, sie von der Richtigkeit des christlichen Glaubens zu überzeugen. „Zu missionieren“, wie ich damals gesagt hätte. 

An diesem Abend hatten unsere Gespräche schon längst wieder den üblichen Verlauf genommen, als ich mich angesichts des heftigen Widerstandes von Anke fragte, ob meine Besuche grundsätzlich gesehen überhaupt noch einen Sinn machten. Die Argumente waren längst alle ausgetauscht und seitdem ich kein Schach mehr spielte, war diesbezüglich nur noch wenig Gesprächsstoff vorhanden.
    Okay, sagte ich zu mir selber, das ist heute das letzte Mal. Danach werde ich sie in Ruhe lassen! Und so holte ich aus, ihnen noch einmal grundsätzlich meine Position und Argumente darzulegen.
 
Dieses eine Mal hörte Anke ruhig zu und begann dann plötzlich sogar Nachfragen zu stellen. Das hat sie doch noch nie getan. Was ist denn jetzt auf einmal los?, fragte ich mich leicht irritiert.
   Und als wenn sich plötzlich der Wind gedreht hätte, war in der Folge nicht mehr der geringste Widerstand zu spüren. Und nicht nur, dass sie klug nachfragte, sie schloss auch bemerkenswerte Folgerungen aus dem Gesagten. Auf einmal schien sie alles zu verstehen und anzunehmen. Ich konnte es einfach nicht fassen!
   Wenn Dietmar diese Wandlung Ankes ebenfalls irritiert haben sollte, so ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Etwa gegen 23 Uhr zog er sich mit den Worten: „Ich bin müde und leg mich jetzt Schlafen! Aber ihr könnt ja ruhig noch weiter diskutieren“, ins Schlafzimmer zurück. 
    Ein Vorgang, der nicht ungewöhnlich war, denn er war berufstätig und musste am nächsten Morgen zur Arbeit. So blieben Anke und ich also alleine im Wohnzimmer zurück. 

Wir hatten uns noch eine ganze Weile angeregt unterhalten, als Anke plötzlich aufstand und mit den Worten: „Also, ich mal jetzt mal schöne Musik“, rüber zum Plattenspieler ging. „Gute Idee!“, sagte ich und stand ebenfalls auf. Vom langen Herumsitzen waren mir die Beine schwer geworden und ich nutzte die Gelegenheit, sie mir im Zimmer etwas zu vertreten.
   Während sie also nun mit der Plattenwahl beschäftigt war und ich mir im Zimmer die Beine vertrat, vernahm ich auf einmal recht deutlich eine innere Stimme: Frag sie, ob sie sich nicht zum Glauben bekehren möchte!
   Ich war erst überrascht, dann zutiefst erschrocken. Mit jemandem über den Glauben zu diskutieren ist eine Sache, ihn oder sie aber zur Bekehrung aufzufordern, eine andere. Sie wird sich vielleicht bedrängt fühlen, dachte ich, und womöglich heftig reagieren! Ich zögerte.
   Andererseits hatte ich aber die innere Stimme deutlich vernommen. Um dies zu leugnen, hätte ich mich schon selber belügen müssen. Schließlich ging ich zu ihr hinüber und sagte so beiläufig wie möglich: „Anke, darf ich dir mal eine Frage stellen?“ Sie blickte überrascht von ihren Platten hoch und sagte: „Ja, worum geht`s?“
  Nun gab es kein Zurück mehr. Ich überwand meine Furcht und fragte sie ganz behutsam: „Anke, möchtest du dein Leben nicht Jesus übergeben?“
  Für einen Moment lang herrschte betretenes Schweigen im Raum. Dann aber sagte sie beinahe schüchtern: „Aber ich weiß doch noch so wenig darüber!“ Ich atmete erleichtert durch. Sie hatte zumindest nicht wie befürchtet heftig reagiert.
   „Ach“, entgegnete ich. „das macht nun wirklich nichts! Als ich mein Leben Jesus übergeben habe, wusste ich auch nicht allzu viel darüber. Entscheidend ist nur, dass man es will. Der Rest ergibt sich dann schon.“ Sie schaute erst noch skeptisch vor sich hin, aber nach einigem guten Zureden willigte sie schließlich ein. „Okay“, sagte ich, „dann lass uns gemeinsam beten!“
 
Wenig später saßen wir schweigend und mit geschlossenen Augen am Wohnzimmertisch. Schließlich fing Anke in recht einfacher, aber dennoch respektvoller Art an zu beten. Sie bat Gott um Vergebung für ihr bisheriges Leben ohne ihn und sagte dann die entscheidenden Worte:  „Ich bitte dich, Herr Jesus, dass Du in mein Leben kommst. Amen!“ 
   Ich atmete erleichtert durch.     
Kurz darauf begann ich dann selber zu beten und dankte Gott, dass Anke nun tatsächlich den Weg zum Glauben gefunden hatte. Und dass Er sie nun auch auf ihrem weiteren Lebensweg leiten und beschützen möge.
 
Während ich so betete, kam mir plötzlich ein Gedanke in den Sinn. Ich überlegte kurz, ob ich ihn aussprechen sollte. Dann aber tat ich es: „Anke, Jesus sagt zu dir: Ich bin das Licht auf dem Berge!
   Ich hatte die Augen geöffnet, als ich sie ansprach und sah nun, dass sie ihre Augen jetzt ebenfalls öffnete. Sie blickte mich völlig erstaunt an und sagte dann: „Weißt Du, Heiner, was ich gerade erlebt habe?“ Ich schaute sie fragend an.
  „Als du betetest, sah ich vor meinem inneren Auge auf einmal einen im Halbdunkel liegenden Berghang. Man könnte eine Wiese und Bäume erahnen, aber nichts Genaues erkennen. Mit einem Mal erschien auf der Bergkuppe ein unwahrscheinlich helles Licht und begann schlagartig den ganzen Berghang zu erleuchten.“
   Sie machte eine kleine Pause und fuhr dann fort: „Und gerade als ich mich fragte, was dies denn für ein Licht sei, sagtest du, Jesus sagt zu dir: Ich bin das Licht auf dem Berge!“
  Für einen kurzen Moment war ich richtig geplättet. Dann hatte ich mich wieder gefasst. „Weißt Du, was das bedeutet, Anke?“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, fuhr ich fort: „Das bedeutet, dass Jesus dir eine direkte Antwort gegeben hat! Damit du sicher weißt, dass du den richtigen Schritt getan hast. Unglaublich!“ Sie strahlte nun über das ganze Gesicht und nickte: „Ja, das ist dann wohl so!“
  Mir fiel ein Satz ein, den ich irgendwo einmal aufgeschnappt hatte: Wenn wir uns einen Schritt auf Gott zubewegen, kommt er uns mit einem Riesenschritt entgegen! Ich sprach ihn aus. Anke lächelte zustimmend.
 
Es war schon weit nach Mitternacht, als Anke sich ins Schlafzimmer zurückzog und ich es mir auf dem Sofa im Wohnzimmer "bequem" machte. Aufgewühlt von den Ereignissen des Abends fand ich allerdings erst recht spät in einen unruhigen Schlaf.   
   Als ich am nächsten Morgen aufwachte, verspürte ich ein seltsam stechendes Gefühl in der Magengegend. Als wenn jemand in meinen Eingeweiden herumgewühlt hätte. Da bin ich gestern Nacht wohl irgendwie an meine Grenzen gestoßen, dachte ich. Es war ja auch eine recht „schwere Geburt“ gewesen.
     Auf einmal kam mir ein anderer Gedanke: Ob sie jetzt am Morgen die Sache noch genauso sehen wird wie gestern Nacht? Oder doch vielleicht einen Rückzieher machen wird? Ich war mir nicht sicher.
   
Als sie wenig später ins Wohnzimmer kam, strahlte sie mich an: „Guten Morgen, Heiner! Hast du gut geschlafen?“ „Geht so“, entgegnete ich, „fühle mich aber noch etwas schlapp.“       
   "Weißt du, was ich heute Morgen als erstes zu Dietmar gesagt habe?“ Ich schaute sie fragend an. Sie lächelte: "Ich habe zu ihm gesagt: Ich bin jetzt auch ein Kind Gottes!"
   Ich war bass erstaunt wegen ihrer Wortwahl. Meiner Ansicht nach hatte ich den Begriff Kind Gottes, obwohl er biblisch ist, ihr gegenüber nie erwähnt: "Und“, fragte ich, “wie hat er reagiert?" "Ach, er hat mich erst mit großen Augen angeschaut und dann gesagt: „Na, das ist doch schön. Gratuliere!" Sie lachte: "Komm, wir gehen in die Küche! Erst einmal etwas frühstücken!"
 
Ja, und hier endet diese kleine wahre Geschichte. Anke schloss sich einige Zeit später einer Baptistengemeinde an und ist, soviel ich weiß, auch heute noch gläubig.
 
                                                    

Mittwoch, 27. August 2014

Die geschenkten Handschuhe (1994)


Vor einer Reihe von Jahren nahm ich in Bremen an einem christlichen Studentenfrühstück teil. Bei Speis und Trank ging es recht locker und gesprächig zu, so dass der Vormittag wie im Fluge verging. Schließlich schlug Pastor Helms die Bibel auf und sagte: „So, ihr Lieben! Zeit für eine kleine Andacht!“ Sogleich verstummten die Gespräche, Kaffeetassen wurden  hingestellt, Stühle zurecht gerückt und erwartungsvoll in Richtung des Pastors geblickt. Denn er war allgemein bekannt für recht anschauliche und inspirierende Predigten.      

Das seiner Andacht zugrunde liegende Bibelwort habe ich vergessen, aber nicht die dazu gehörende Anekdote. So war er eines Tages in einer ihm unbekannten Stadt mit dem Auto unterwegs gewesen, als er feststellte, dass er wohl irgendwo falsch abgebogen sein musste. Das Klügste wäre natürlich gewesen, sofort zum Abbiegepunkt zurückzukehren und dann den richtigen Weg zu nehmen.
     Aber wie das so ist. Er war in Zeitdruck und hoffte, dass er sich schon irgendwie ans Ziel gelangen würde. Und so fuhr er seinem Gefühl folgend weiter, bis er schließlich in einer Sackgasse landete: „Hier ging es absolut nicht weiter und es blieb mir nichts anderes übrig, als nun doch reumütig den Rückweg anzutreten.“
     Schließlich erreichte er mit vielem Nachfragen und erheblicher Verspätung doch noch sein Ziel. „Warum habe ich euch das erzählt?“, fragte er in die Runde, um gleich selber die Antwort zu geben. „Diese kleine Episode hat mir ein Stückweit gezeigt, wie es mit meiner Umkehrbereitschaft  bestellt ist. Anstatt meinen Fehler  einzusehen und mich sofort ohne allzu großen Schaden auf den Rückweg zu machen, wollte ich die Sache noch zum Guten wenden. Das Ende vom Lied: Am Ende musste ich doch umkehren, jetzt aber mit größerem Schaden.“

Als ich wenig später des Pastors Haus verließ und mich zu meinem Fahrrad begab, erwartete mich eine unangenehme Überraschung. Die Luft war aus dem Hinterreifen gewichen und Aufpumpaktionen verliefen ergebnislos. "Mist!", fluchte ich leise in mich hinein. Es blieb mir nichts Anderes übrig, als mein Fahrrad zu schieben. Zu allem Überfluss fing es jetzt an diesem sowieso schon grau-trüben Januartag auch noch an zu nieseln. Was meine Stimmung nicht gerade besserte. Eine Dreiviertelstunde würde ich jetzt auf jeden Fall bis zur Uni brauchen.
    Ich mochte etwa zehn Minuten die Straße entlang gelaufen sein, als ich auf einmal zu meiner Überraschung in der Ferne die Silhouette der Bremer Uni auftauchen sah. Allerdings lag dazwischen ein nicht überschaubarer Wiesengrund mit gelegentlichem  Buschwerk.
     Ich begann nachzudenken. Jetzt querfeldein  zu gehen würde auf jeden Fall eine erhebliche Abkürzung bedeuten. Andererseits war das Gelände, eine Art Einöde und Niemandsland, schwer einzuschätzen. Sollte ich nicht vielleicht doch besser  die Straße entlang gehen, auch wenn es eigentlich ein Umweg war? Ach was, dachte ich plötzlich, frisch gewagt ist halb gewonnen!   

Am Anfang ging es auch ganz es leicht. Es  führte ein kleiner Trampelpfad ins Gelände hinein, auf dem sich bequem das Fahrrad schieben ließ. Aber  schon etwa nach hundert Metern hörte auf einmal der kleine Weg auf und plötzlich erwies sich der  Boden unter mir doch als recht feucht und lehmig. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich wieder zurückgehen sollte. Dann entschied ich mich aber für das Weitergehen.
    Nach weiteren hundert Metern war klar, dass ich mich verschätzt hatte. Der Boden wurde immer matschiger und unwegsamer, und meine Stimmung begann noch weiter zu sinken. Erneut kam mir der Gedanke, vielleicht besser umzukehren. Aber mein Stolz war stärker. Jetzt wollte ich es wissen. Trotzig schob ich das Fahrrad weiter.
     Nach etwa zweihundert weiteren Metern war es dann "amtlich". Vor mir war ein mit Wasser gefüllter Graben, der trockenen Fußes nicht zu bewältigen war. Einen Moment überlegte ich tatsächlich, ob ich die nassen  Füße nicht akzeptieren sollte. Dann aber siegte die Vernunft. Ich gestand mir ein, einen Fehler gemacht zu haben und gab auf.
   Im gleichen Augenblick fiel Pastor Helms kleine Andacht wieder ein: Und erst als ich in eine Sackgasse geraten war und es nicht mehr weiterging... Und mit einem Mal begriff ich, dass ich in eine göttliche Lektion geraten war. Dies war sozusagen eine praktische Illustration der kurz zuvor gehörten Anekdote. Ich drehte mich und das Fahrrad herum und machte mich wortlos auf den Rückweg

Eigentlich könnte man diese kleine Anekdote hier enden lassen. Aber es geschah noch etwas, was die  Angelegenheit  mir noch "vergolden" sollte. Denn ich war nur wenige Meter gegangen, als plötzlich mitten in der Einöde zwei nagelneue Skihandschuhe vor mir auf dem Boden lagen.
    Für einen kurzen Moment war ich völlig verdattert: Wie um alles in der Welt sind die denn hierher gekommen?  fragte ich mich. Der Gedanke, dass noch jemand anders sich hierher verirrt haben und dabei Skihandschuhe weggeworfen oder verloren haben könnte, grenzte ans Absurde.
    Ich schaute mich um. In einiger Entfernung war eine Böschung aufgeschüttet, die an der eine Autobahn entlang führte. Aber die Vorstellung, dass jemand seinen Wagen auf der Standspur abstellt hätte und dann die Böschung herunter gestiegen wäre, um mitten in einer matschigen Wiesenlandschaft ein paar nagelneue Skihandschuhe abzulegen, war ebenso grotesk. Es blieb einfach ein Rätsel. Oder ein Wunder!
    Denn hinzu kam auch noch der Fakt, dass ich ausgerechnet an dieser Stelle vorbeigekommen war. Ein paar Meter weiter rechts oder links auf diesem riesigen Gelände, und ich hätte die Handschuhe nicht gesehen. Nun lagen sie da vor mir auf dem Boden wie ein für mich vorbereitetes Geschenk !
  Ein vorbereitetes Geschenk? Ja, denn ich war schon seit Wochen ohne Handschuhe mit dem Fahrrad unterwegs gewesen und hatte so manches Mal schon gefroren. Und diesem Umstand sollte jetzt wohl abgeholfen werden. Natürlich war es gleichzeitig auch ein kräftiges Trostpflaster nach dieser etwas demütigenden Umkehrlektion. Ich hob die Handschuhe auf und zog beglückt von dannen!