Vor einer Reihe von Jahren nahm ich in Bremen an einem christlichen Studentenfrühstück teil. Bei Speis und Trank ging es recht locker und gesprächig zu, so dass der Vormittag wie im Fluge verging. Schließlich schlug Pastor Helms die Bibel auf und sagte: „So, ihr Lieben! Zeit für eine kleine Andacht!“ Sogleich verstummten die Gespräche, Kaffeetassen wurden hingestellt, Stühle zurecht gerückt und erwartungsvoll in Richtung des Pastors geblickt. Denn er war allgemein bekannt für recht anschauliche und inspirierende Predigten.
Das
seiner Andacht zugrunde liegende Bibelwort habe ich vergessen, aber
nicht die dazu gehörende Anekdote. So war er eines Tages in einer ihm
unbekannten Stadt mit dem Auto unterwegs gewesen, als er feststellte,
dass er wohl irgendwo falsch abgebogen sein musste. Das Klügste wäre
natürlich gewesen, sofort zum Abbiegepunkt zurückzukehren und dann den
richtigen Weg zu nehmen.
Aber
wie das so ist. Er war in Zeitdruck und hoffte, dass er sich schon irgendwie ans Ziel gelangen würde. Und so fuhr er seinem Gefühl
folgend weiter, bis er schließlich in einer Sackgasse landete: „Hier
ging es absolut nicht weiter und es blieb mir nichts anderes übrig, als
nun doch reumütig den Rückweg anzutreten.“
Schließlich
erreichte er mit vielem Nachfragen und erheblicher Verspätung doch noch
sein Ziel. „Warum habe ich euch das erzählt?“, fragte er in die Runde,
um gleich selber die Antwort zu geben. „Diese kleine Episode hat mir ein
Stückweit gezeigt, wie es mit meiner Umkehrbereitschaft
bestellt ist. Anstatt meinen Fehler einzusehen und mich sofort ohne
allzu großen Schaden auf den Rückweg zu machen, wollte ich die Sache
noch zum Guten wenden. Das Ende vom Lied: Am Ende musste ich doch
umkehren, jetzt aber mit größerem Schaden.“
Als
ich wenig später des Pastors Haus verließ und mich zu meinem Fahrrad
begab, erwartete mich eine unangenehme Überraschung. Die Luft war aus
dem Hinterreifen gewichen und Aufpumpaktionen verliefen ergebnislos.
"Mist!", fluchte ich leise in mich hinein. Es blieb mir nichts Anderes
übrig, als mein Fahrrad zu schieben.
Zu allem Überfluss fing es jetzt an diesem sowieso schon grau-trüben
Januartag auch noch an zu nieseln. Was meine Stimmung nicht gerade
besserte. Eine Dreiviertelstunde würde ich jetzt auf jeden Fall bis zur
Uni brauchen.
Ich
mochte etwa zehn Minuten die Straße entlang gelaufen sein, als ich auf
einmal zu meiner Überraschung in der Ferne die Silhouette der Bremer Uni
auftauchen sah. Allerdings lag dazwischen ein nicht überschaubarer
Wiesengrund mit gelegentlichem Buschwerk.
Ich
begann nachzudenken. Jetzt querfeldein zu gehen würde auf jeden Fall
eine erhebliche Abkürzung bedeuten. Andererseits war das Gelände, eine
Art Einöde und Niemandsland, schwer einzuschätzen. Sollte ich nicht
vielleicht doch besser die Straße entlang gehen, auch wenn es
eigentlich ein Umweg war? Ach was, dachte ich plötzlich, frisch gewagt ist halb gewonnen!
Am
Anfang ging es auch ganz es leicht. Es führte ein kleiner Trampelpfad
ins Gelände hinein, auf dem sich bequem das Fahrrad schieben ließ. Aber
schon etwa nach hundert Metern hörte auf einmal der kleine Weg auf und
plötzlich erwies sich der Boden unter mir doch als recht feucht und
lehmig. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich wieder zurückgehen sollte. Dann entschied ich mich aber für das Weitergehen.
Nach
weiteren hundert Metern war klar, dass ich mich verschätzt hatte. Der
Boden wurde immer matschiger und unwegsamer, und meine Stimmung begann
noch weiter zu sinken. Erneut kam mir der Gedanke, vielleicht besser
umzukehren. Aber mein Stolz war stärker. Jetzt wollte ich es wissen.
Trotzig schob ich das Fahrrad weiter.
Nach
etwa zweihundert weiteren Metern war es dann "amtlich". Vor mir war ein
mit Wasser gefüllter Graben, der trockenen Fußes nicht zu bewältigen
war. Einen Moment überlegte ich tatsächlich, ob ich die nassen Füße
nicht akzeptieren sollte. Dann aber siegte die Vernunft. Ich gestand mir
ein, einen Fehler gemacht zu haben und gab auf.
Im
gleichen Augenblick fiel Pastor Helms kleine Andacht wieder ein: Und
erst als ich in eine Sackgasse geraten war und es nicht mehr
weiterging... Und mit einem Mal begriff ich, dass ich in eine göttliche Lektion geraten
war. Dies war sozusagen eine praktische Illustration der kurz zuvor
gehörten Anekdote. Ich drehte mich und das Fahrrad herum und machte mich
wortlos auf den Rückweg
Eigentlich
könnte man diese kleine Anekdote hier enden lassen. Aber es geschah
noch etwas, was die Angelegenheit mir noch "vergolden" sollte. Denn
ich war nur wenige Meter gegangen, als plötzlich mitten in der Einöde
zwei nagelneue Skihandschuhe vor mir auf dem Boden lagen.
Für einen kurzen Moment war ich völlig verdattert: Wie um alles in der Welt sind die denn hierher gekommen?
fragte ich mich. Der Gedanke, dass noch jemand anders sich hierher
verirrt haben und dabei Skihandschuhe weggeworfen oder verloren haben
könnte, grenzte ans Absurde.
Ich
schaute mich um. In einiger Entfernung war eine Böschung aufgeschüttet,
die an der eine Autobahn entlang führte. Aber die Vorstellung, dass
jemand seinen Wagen auf der Standspur abstellt hätte und dann die
Böschung herunter gestiegen wäre, um mitten in einer matschigen
Wiesenlandschaft ein paar nagelneue Skihandschuhe abzulegen, war ebenso
grotesk. Es blieb einfach ein Rätsel. Oder ein Wunder!
Denn
hinzu kam auch noch der Fakt, dass ich ausgerechnet an dieser Stelle
vorbeigekommen war. Ein paar Meter weiter rechts oder links auf diesem
riesigen Gelände, und ich hätte die Handschuhe nicht gesehen. Nun
lagen sie da vor mir auf dem Boden wie ein für mich vorbereitetes Geschenk !
Ein vorbereitetes Geschenk?
Ja, denn ich war schon seit Wochen ohne Handschuhe mit dem Fahrrad
unterwegs gewesen und hatte so manches Mal schon gefroren. Und diesem
Umstand sollte jetzt wohl abgeholfen werden. Natürlich war es
gleichzeitig auch ein kräftiges Trostpflaster nach dieser etwas demütigenden Umkehrlektion. Ich hob die Handschuhe auf und zog beglückt von dannen!
selten eine derartig unsinnige Erklärung für ein paar Handschuhe gehört.
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